|
Der allgemeine "cost
of carry"-Ansatz zur Preisbildung von Terminkontrakten
|
Bilden wir nunmehr die aus den Kernüberlegungen
der vorstehenden Seite gewonnenen
Einsichten über die Preisbestandteile eines Futures in der Fassung einer
Bestimmungsgleichung ab, so gelangen wir formallogisch zum allgemeinen
"Cost of carry"-Ansatz der Bepreisung
von Terminkontrakten ("cost
of carry relation"). Eine anschauliche, vornehmlich auf die Berechnung
eines theoretisch richtigen ("Gleichgewichts"-)
Futureskurses ("equilibrium
price", "fair value") von Finanzinvestments wie auch von
bewahrfähigen Investitionsgütern geprägte Gleichung lautet demnach:
Futureskurs = Cash-Kurs +
Finanzierungskosten – Finanzerträge.
Da nun definitionsgemäß die in Ansatz
zu bringenden "cost of carry" ("Haltekosten") eines gegebenen Kalkulationszeitpunktes
in summa gleichkommen dem Differenzbetrag zwischen den auszahlungswirksamen
antizipierten Finanzierungskosten ("pure carry") und den geldwerten
Erträgen eines Effektivpostens ("carry return"), die sein Halten
bis hin zum Laufzeitende eines darauf basierenden Terminkontraktes in
Aussicht stellen (= Nettofinanzierungskosten;
"carry spread"), erhält man für den (wieder auf eine Einheit
des "underlying" bezogenen) "full-carry"-Futures-Preis folgerichtig
den abkürzenden Ausdruck:
Futureskurs = Cash-Kurs +
"cost of carry".
Spiegeln nun die wirklichen Marktverhältnisse
die eben hergeleitete förmliche Schlüssigkeit in ihrer Kernaussage unverrückt
wider, so wird sich infolge davon auch der Unterschied zwischen dem
Kurs am Kassa- oder Spotmarkt und dem Futureskurs
(=
Basis) den Haltekosten
betragsmäßig gleichwertig setzen. Man beachte, dass auf echte Märkte
berechnet die (antizipierten) "cost of carry" in ihrem Belauf bei dem
allem keineswegs blindlings als sichere Größen vorausgesetzt werden
dürfen; denn wirtschaftliche Kosten und Erträge pflegen bekanntlich
ebenso wie Spotmarkt- bzw. Kassapreise als auch Zinssätze der verschiedenen
Fristigkeiten im Zeitablauf mehr oder minder starken Schwankungen zu
unterliegen. Besonders im Falle von Welthandelswaren ("commodities")
kann es mitunter zu vermehrten Schwierigkeiten führen, mit Rücksicht
auf die Vielzahl an zum Teil versteckten Kostenbestandteilen das jeweils
richtige Maß der "cost of carry" auszumitteln.
Eine logisch zwingende Folge aus den vorangehenden
Überlegungen ist es nun, dass je kürzer (länger) die
Restlaufzeit eines
Futures wird und je tiefer (höher) der maßgebliche Zinssatz für die
sichere Geldanlage sich stellt, desto niedriger (höher) werden – bei
sonst feststehenden Kosten und Erträgen, und bei alledem auch weitestgehend
unabhängig vom derzeit herrschenden Kursniveau – die Nettofinanzierungskosten
eines Gutes ("cost of carry") anzuschlagen sein. Je näher (weiter)
also der vorgesehene Erfüllungstermin in der Zukunft liegt, umso geringer
(höher) ist der Auf- bzw. Abschlag eines Futureskurses von Investitionsobjekten
zum jeweiligen Kassamarktpreis. Dieser elementare markttechnische Zusammenhang
zwischen Restlaufzeit, Sicherheitszinssatz und Nettofinanzierungskosten
bleibt sinngemäß aufrecht auch in Bezug auf den Umfang der Basis als
Differenz von Cash-Kurs und Futureskurs. Die Basis wird bei marktgerechter
Bewertung in einem "full carry market" somit maßgeblich durch die Nettofinanzierungskosten
bestimmt.
Durch die mit abnehmender Restlaufzeit
eines Futures bedingten Kostensenkungen für die beschäftigten Geldmittel
bei gleichzeitig sinkenden Erträgen aus einem physisch gehaltenen Marktgegenstand
(Effektivposition) sind überdies die Bestimmungsgründe für die bis zum
Erreichen der Fälligkeit gegen null konvergierende (Liefer-)
Basis eines Terminkontrakts gelegt ("delivery-date-convergence",
Basiseffekt, Konvergenzeigenschaft). Im Fälligkeitszeitpunkt
eines Futures sind beide Positionen: der Direktkauf im Spotmarkt und
der alternative "Terminkauf" (Long-Futures), aus finanzwirtschaftlicher
Sicht äquivalent, Cash-Kurs und Futureskurs stimmen damit überein.*
[* Eine völlige
Identität der Preise zum Erfüllungszeitpunkt muss sich nicht notwendig
in jedem einzelnen gegebenen Fall behaupten. Infolge bestimmt vorgegebener
Lieferoptionen ("delivery
options") mannigfacher Art können sich zum Regulierungszeitpunkt
durchaus geringfügige Preisunterschiede einspielen. Bei Licht besehen,
kann man sich allenfalls berechtigt halten, von einer unverkennbaren
Grundrichtung hin zur Wertgleichheit zu reden. Gehen indessen zum Fälligkeitszeitpunkt
Barpreis und Futureskurs in ihrer Höhe über ein gewöhnliches Maß hinaus
sichtlich auseinander, so werden augenblicklich Arbitrageure auf den
Plan treten im Verfolg der Absicht, die daraus erwachsenden und einmal
als einträglich klar erkannten Transaktionen im Markt erfolgreich für
sich umzusetzen, so lange, bis aufgrund wirkender Marktkräfte die Kurse
sich wieder auf einen wirtschaftlich sinnvollen Stand eingependelt haben.
Erst nachdem sämtliche Arbitragegewinne bis zur Neige abgeschöpft werden
konnten, vermag ein arbitragefreies Gleichgewicht am Ende wieder Platz
zu greifen.]
Die Haltekosten "cost of carry"
C fassen alle oben benannten Finanzierungskosten (Zins- und Lagerhaltungskosten,
Versicherungs- und Transportkosten u.a.m.)
und Erträge ("asset income": Dividenden-, Zins-, Leasingeinnahmen
u.a.), jeweils ausgedrückt
in absoluten Größen, saldiert in einem Geldbetrag zusammen. Die "cost
of carry" c als Kostensatz genommen, also nunmehr ausgedrückt
als Parameter: eine in Prozenten vom Marktwert des Underlying genommene
und aufs Jahr berechnete Größe (% p.a.),
setzten sich demgemäß im Einzelnen aus folgenden Bestandteilen und Teilbeträgen
zusammen:
|
dem
Satz für Zinskosten i (d.
i. der Finanzierungskostensatz einer Kreditfinanzierung des
fraglichen Gutes unter Sicherheit bzw. im Falle einer Eigenfinanzierung
dem Ertragssatz für entgangene Zinseinnahmen (Opportunitätskosten)
der besten sonstigen Mittelverwendung, jeweils unter Zugrundelegung
des vorliegenden Sicherheitszinssatzes), zuzüglich dem
|
|
Lagerhaltungskostensatz
l (resp. dem
Satz für die Depotverwaltungsgebühren), einschließlich dem Satz
für Wartungs-, Versicherungs- und Transportkosten,
|
|
abzüglich aller Erträge e,
dem Ertragssatz aus dem Besitz eines Investitionsgutes, der sich
gesondert herleitet aus Dividenden, Bezugsrechten, Kuponzahlungen,
Stückzinsen, Verleihgebühren usw.
|
Werden die vorstehend namhaft gemachten
Kosten- und Ertragsbestandteile summarisch zu einer einzigen Größe zusammengefasst,
so erhalten wir den "cost of carry"-Satz, symbolhaft abgebildet durch
c. Der algebraische Ausdruck für diesen Zusammenhang lautet im
Anschluss daran:
c = i + l – e
.
Ganz offenbar spielen die Finanzierungskosten
i bei Produktiv- und Genussgütern eine weitaus geringere Rolle als bei
Investitionsobjekten des Finanzmarktes.
Beispiel:
Beim DAX®-Futures*
fällt c mit dem Sicherheitszinssatz i zusammen, womit
gilt: c = i. Denn bei seiner Berechnung wird der
DAX® konzeptionsbedingt
um allfällige Kapitalmaßnahmen berichtigt, mit dem Schlusserfolg, dass
von derlei Maßnahmen ausgehende Auswirkungen auf seinen Stand durchweg
ohne Belang bleiben. D.h. aufgrund
der für den DAX® geltenden Wiederanlageprämisse, die im Übrigen
bezeichnend ist für jeden "total return index" (auch "performance
index" genannt), sind zu seiner Konstruktion weder besondere Ertragskomponenten,
wie z.B. Bardividenden-, Bezugsrechtseinnahmen
oder Boni, geschweige denn irgendwelche zusätzlichen Kosten, etwa für
eine Lager- oder Depothaltung oder Ähnliches, gesondert in Anschlag
zu bringen.
[* Der DAX®-Futures
gründet, wie der Name bereits andeutet, auf dem Deutschen Aktienindex
DAX®, der seinerseits die Wertentwicklung (Performance)
der 40 wichtigsten deutschen Aktiengesellschaften nachvollzieht.]
Anders beim
Standard & Poor's 500 Aktienindex:
Zur Berechnung seines Indexstandes wird unterstellt, dass unter Verzicht
auf eine Wiederanlage in das Indexportfolio sämtliche Dividendenauszahlung
und sonstige Zahlungen aus Nebenrechten unmittelbar zur Ausschüttung
an den Investor gelangen (bei dieser Art Index spricht man von einem
Kursindex, "price index"). Demnach gilt für die "cost
of carry" beim S&P 500 im Rahmen der rechnerischen Bestimmung seines
"fair value"-Futureskurses: c = i – e. Bei Edelmetallen dagegen erhält
man (unter Einbeziehung von Bewahrungskosten dauerbarer Anlagegüter):
c = i + l.
Die in
abkürzende Symbolschreibweise eingekleidete allgemein gebräuchliche
mathematische Ausdrucksweise
für den theoretisch korrekten Futureskurs F0
("fair value") von Investitionsobjekten (und überdies
auch von aufspeicherbaren Konsumgütern in einem "full-carry"-Markt),
bezogen auf einen beliebigen Betrachtungszeitpunkt t0 und
unter Berücksichtigung von Kosten, Erträgen sowie des Zeitwertes des
Geldes, lautet sonach:
F0 = K0
× (1
+ c)t
,
oder in Worten weniger logisch exakt,
aber anschaulicher: Futureskurs F0 gleich Cash-Kurs K0
plus absolute "cost of carry" C.
Als weitere Implikation aus der Formel
ergibt sich der "implizite Finanzierungskostensatz ci" ("implied
repo rate"), wenn man den Futureskurs durch den Cash-Kurs teilt
und davon eins subtrahiert: F0 / K0 − 1 = ci.
Freilich, in effizienten Märkten muss sich der implizite Finanzierungskostensatz
ci den tatsächlichen Nettofinanzierungskosten c genau gleichstellen.
Es folgt beispielhaft eine genaue Aufschlüsselung
der "cost of carry" für Aktienindex- und für Rentenmarkt-Futures.
|
Für
Aktienindex-Futures
besteht demgemäß allgemein der folgende Zusammenhang:
|
Aktienindex-Futureskurs
bzw. Wert ("fair value") =
dem Handelsverkehr
entnommener, festgestellter Kassastand des zugrunde liegenden Aktienindex
+
[Zins-
und Depotkosten für das Halten des hypothetischen Aktienindex-Portfolios,
und zwar einheitlich zur Dauer der Restlaufzeit des Futures berechnet
nach dem kurzfristigen Geldmarkt-Referenzzinssatz i ("spot rate")
für sichere Anlagen]
−
[Dividendenzahlungen,
Bezugsrechtserlöse und sonstige erwartete Erträge aus dem Aktienportfolio,
wie bspw. aus Wertpapierleihgeschäften,
oder auch Zinserträge aus der Wiederanlage der Erträge E zum Referenzzinssatz
i während der Laufzeit des Futures].
[Anmerkung:
Dividendenausschüttungen, Bezugsrechtserlöse oder andere veräußerbare
Kapitalmarkttitel sowie sonstige Erträge aus Nebenrechten werden natürlich
nur dann bei der Berechnung abgezogen, sofern es sich hierbei nicht
um einen "total return index" handelt.]
|
Für alle
Zins-Futures auf
festverzinsliche Wertpapiere gilt analog dazu allgemein:
|
Futureskurs einer festverzinslichen
Anleihe ("fair value", um den
Konvertierungsfaktor
korrigiert) =
dem Handelsverkehr
entnommener, festgestellter Kassakurs der zugrunde liegenden festverzinslichen
Anleihe (bei synthetischen Anleihen dient als Referenz immer die
am billigsten zu liefernde Anleihe: die sog. "CTD-Anleihe")
+ [Zins- und Depotkosten
für das Halten des Anleiheportfolios, und zwar zur "spot rate" mit
einer Laufzeit, die der Restlaufzeit des Futures entspricht, sich
also auf das kurze Ende der Zinsstrukturkurve bezieht]
− Stückzinserträge
der CTD-Anleihe
− sonstige Erträge
aus dem Anleiheportfolio, welche bis zum Erfüllungstermin des Futures
anfallen.
Aktienindex-Futures bringen
im Regelfall in der Summe positive "cost of carry" (negative Basis)
hervor; denn die Finanzierungskosten, die für das Halten eines Aktienportfolios
anschlagen, überwiegen fast immer die in Form von Dividenden, Bezugsrechtserlösen,
Boni usw. zufließenden Erträge, wodurch der Futureskurs auf einen
höheren Stand zu stehen kommt als der Kassastand des Index. Demnach
wird der Futureskurs c.p.*
umso höher notieren, je höher der Stand des zugrunde liegenden Index
per cassa, je höher der risikolose Geldmarktzinssatz und je niederer
die Dividenden- und sonstigen Erträge aus dem Besitz des Aktien-Portfolios
zu Buche schlagen, et vice versa.
[* c.
p. = Ceteris-paribus-Klausel; sie steht für das Ausbleiben den
Illustrationszweck störender Einflüsse und Verwicklungen. Durch die
Ceteris-paribus-Klausel ist − bis auf die erklärende Variable − alles
Übrige als konstant vorausgesetzt.]
Im Falle von
Futures auf Anleihen ist dagegen
im Hinblick auf das aktuelle Zinsgefüge zu differenzieren: Liegt eine
"normale Zinsstrukturkurve" vor, so resultiert ein Nettoertrag
aus dem Halten des Anleiheportefeuilles, da die Stückzinserträge (welche
ja bei Bonds das lange Ende der Zinsstrukturkurve betreffen) den Zinsaufwand
für eine kurzfristige Finanzierung des Anleiheportfolios überflügeln.
Der Futureskurs wird demzufolge mit einem Abschlag ("discount")
zum (bereinigten) Kassapreis der CTD-Anleihe notieren. Bei Vorliegen
einer "inversen Zinsstrukturkurve" hingegen übersteigen die Zinssätze
am kurzen Ende in ihrer Höhe die Zinsen am langen Ende. Positive Nettofinanzierungskosten
sind hier als Grund anzuführen, weshalb ein Futureskurs eines solchen
Instruments einen Aufpreis (Prämie, "premium") zum zugehörigen
Kassakurs der zugrunde liegenden lieferoptimalen Anleihe (CTD-Anleihe)
aufweist.
Augenfällig ist hierbei, dass der rechnerische
Terminkurs ("fair value") nicht, wie man leicht meinen könnte,
in gerader Linie abhängig ist von den Risikoneigungen der Marktbeteiligten*.
Auch spielen, wenn man genauer zusieht, unter dem "cost of carry"-Modell
zur Preisbildung Erwartungen (Wahrscheinlichkeitsannahmen) des Marktpublikums
über den zukünftigen Cash-Preis des untergebenen Vermögensgegenstandes
("underlying") oder über die
Volatilität und deren Änderung
keine primäre Rolle. Vielmehr beruht der "fair value" hier allein auf
dem Prinzip der Arbitragefreiheit. Diese Eigenschaft kennzeichnet den
substanziellen Unterschied bei der Bepreisung von Forward- und Futures-Kontrakten
auf Investitionsgüter gemäß dem "cost of carry"-Ansatz gegenüber dem
Preisbildungsprozess von Commodity-Futures auf nicht lagerfähige Waren
und freilich auch von Optionen (Optionspreisen, Prämien).
[* Da hierzu bislang
überzeugende Modellbildungen fehlen, ist insbesondere die Frage noch
nicht befriedigend gelöst, inwieweit ein Teil der Differenz zwischen
Futureskurs und Cash-Preis als Risikoprämie aufzufassen ist.]
Dem "cost of carry"-Ansatz, der vornehmlich
auf Futures auf Investitionsobjekte und lagerfähige Wirtschaftsgüter
Anwendung findet, steht die sogenannte
Erwartungstheorie ("expectations
hypothesis") als ein zweiter Erklärungsansatz gegenüber. Von Seite
des Letztgenannten her liegt immer dann ein Marktgleichgewicht zwischen
dem Terminmarkt und dem Markt für Geschäfte zur unverzüglichen Lieferung
vor, wenn der jetzige Preis eines Futures sich dem künftigen (unsicheren)
Cash-Preis im Effektivmarkt des ihm unterliegenden Gutes im Zeitpunkt
der Terminfälligkeit des Futures genau gleichstellt. Beide Ansätze bezeichnen
in den finanzwirtschaftlichen Lehrtexten gleichermaßen einen "arbitrage-freien
Markt".
In einem arbitragefreien Markt für Investitionsobjekte
("capital assets") eines gegebenen Zeitpunktes t = 0 vor dem
Regulierungstag des Futures werden
Basis B (als arithmetische
Differenz zwischen Cash-Preis K und Terminkurs F) und Nettofinanzierungskosten
C dem Betrag nach völlig genau übereinstimmen. Durch Umstellung unserer
Gleichung F0 = K0
× (1 + c)t erhalten wir: K0 – F0
= – K0 × c. Der Preis eines Futures F0 entspricht
unter Gleichgewichtsverhältnissen endlich seinem rechnerisch fairen
Wert.
Lesen Sie auf der folgenden Seite:
Futures auf
Konsumgüter und "cost of carry"
|